Potenziale der Additiven Fertigung am Beispiel der Metal Binder Jetting Technologie in der Medizintechnik – Chancen für den Standort Deutschland

Medizintechnikhersteller aus Deutschland sind in vielen Produktbereichen nach wie vor Weltmarktführer – doch der steigende internationale Kostendruck, verschärft durch Rohstoffpreise, Lohnkosten und potenzielle Handelskonflikte, gefährdet ihre Wettbewerbsfähigkeit. Das Label “Made in Germany” in Verbindung mit höchster Produktqualität allein reicht im zunehmend preissensiblen Markt nicht mehr aus, um Kunden langfristig zu überzeugen.

Die Herstellung komplexer chirurgischer Instrumente erfolgt heute meist auf Fräs- und Drehzentren. Die über Jahre hinweg optimierten, präzisen Prozesse bieten kaum noch Potenzial zur weiteren Kostenreduktion. Hinzu kommt ein hoher Materialverlust: 80 bis 90 % des Ausgangsmaterials werden bei der Zerspanung entfernt. Manuelle Arbeitsschritte wie Umspannen und Montieren steigern zusätzlich die Produktionskosten.

Um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hersteller zu sichern, sind neue Ansätze in Produktentwicklung und Fertigung zwingend erforderlich.

Ein Ansatz zur Kostensenkung bei standardisierten Produkten mit hohen Stückzahlen ist der Einsatz sinterbasierter Verfahren wie dem Metallpulverspritzguss (MIM). Dabei wird ein sogenannter Feedstock – bestehend aus Metallpulver und Binder – in eine Negativform gespritzt, um ein „Grünteil“ zu erzeugen. Nach dem Entbindern und Sintern entsteht ein metallurgisch hochwertiges Endbauteil. Der Vorteil: In der Formgebung fällt kein Abtrag an, und die Teile können in kurzer Taktzeit hergestellt werden – was insbesondere bei Großserien zu einer deutlichen Reduktion der Stückkosten führt.

Gleichzeitig gilt es, sich durch Innovation vom zunehmend standardisierten Markt abzuheben. Eine neue Generation chirurgischer Instrumente mit komplexen Geometrien, integrierten Funktionen und reduzierter Montage kann helfen, Differenzierung zu schaffen und die technologische Führungsrolle zu sichern.

Rolle des 3D-Drucks – Fokus auf Metal Binder Jetting (MBJ)

Hier kommt die additive Fertigung ins Spiel – insbesondere das Metal Binder Jetting (MBJ) Verfahren. Als sinterbasierte 3D-Drucktechnologie folgt MBJ einem typischen Prozessablauf aus Drucken, Entpulvern und Sintern. Die resultierenden Bauteile weisen metallurgische Eigenschaften auf, die mit denen aus dem MIM-Verfahren vergleichbar sind. Im Vergleich zur subtraktiven Fertigung entfällt der hohe Materialabtrag vollständig. Ein großer Vorteil von MBJ liegt in seiner Rolle als Brückentechnologie zur schnellen Markteinführung. Während beim MIM-Verfahren Werkzeuglaufzeiten von bis zu sechs Monaten üblich sind, können mit MBJ bereits wenige Tage nach Erstellung des CAD-Modells erste Prototypen oder Vorserienteile gefertigt werden. Iterationen und Designanpassungen sind dabei kosteneffizient möglich, da keine formgebundenen Werkzeuge notwendig sind. Dies reduziert Entwicklungszeiten signifikant und ermöglicht eine agile Produktentwicklung. Darüber hinaus ist MBJ in der Lage, Serienfertigung mit Stückzahlen von bis zu 10.000 Teilen pro Jahr wirtschaftlich darzustellen – ein Bereich, in dem klassische 3D-Druckverfahren oft an ihre Grenzen stoßen. Die Technologie bietet somit nicht nur Flexibilität in der Entwicklung, sondern auch Skalierbarkeit in der Produktion.

Konstruktives Umdenken notwendig – Das volle Potenzial des 3D-Drucks wird aktuell in der Produktentwicklung noch nicht ausgeschöpft. Nach wie vor wird häufig nach konventionellen Konstruktionsrichtlinien gearbeitet – ein Erbe der subtraktiven Fertigung. Doch additive Fertigung erfordert ein grundlegend neues Denken: Leichtbaustrukturen, Funktionsintegration, innenliegende Kanäle oder organische Formen sind nur einige der Möglichkeiten, die mit traditionellen Verfahren nicht realisierbar sind.Um diese Potenziale zu heben, sind gezielte Schulungen, Know-how-Aufbau und ein konstruktiver Paradigmenwechsel notwendig. Nur wer die besonderen Designregeln für die additive Fertigung versteht und anwendet, kann wirtschaftliche und technische Vorteile realisieren – etwa durch Materialeinsparung, Reduktion von Baugruppen oder Integration zusätzlicher Funktionen.

Fazit – Ein Umdenken in der Industrie ist bereits spürbar – die Herausforderungen bleiben jedoch groß. Der 3D-Druck, insbesondere das Metal Binder Jetting Verfahren, bietet konkrete Chancen, neue, erfolgreiche Wege zu gehen: von der schnellen Produktentwicklung über funktionsintegrierte Designs bis hin zur wirtschaftlichen Serienproduktion. Wer dieses Potenzial erkennt und strategisch nutzt, kann die Marktposition stärken und die Zukunft der Medizintechnik am Standort Deutschland nachhaltig sichern.